© Christine Zimmermann

Kein Platz für Fehler

Ein Gespräch mit Barbara Hahn

von Daniel Fehr
23. November 2023

Sie führen zusammen mit Christine Zimmermann ein Büro für Kommunikationsdesign. Dabei sind Sie insbesondere auf Datenvisualisierungen spezialisiert. Worum geht es da?

Wir übersetzen Zahlen in Formen. Vielleicht sind die Daten auch noch gar nicht da und wir müssen sie erst recherchieren. Aber in der Regel bekommen wir die Daten von unseren Kunden und unsere Aufgabe ist es, eine adäquate Form, visuelle Entsprechung oder Übersetzung für die Daten zu finden. Wir bezeichnen uns darum auch gerne als visuelle Übersetzerinnen.

Haben Sie ein bestimmtes Vorgehen?

Jeder Datensatz oder jeder Inhalt ist sehr spezifisch. Darum müssen wir uns immer erst inhaltlich einarbeiten. Die Herausforderung dabei liegt darin, die Daten oder die Inhalte zu verstehen und dann ins Visuelle zu übersetzen. Jeder Arbeitsprozess beginnt mit einer Fragestellung, der Datenrecherche und -analyse, bevor erste visuelle Skizzen und Entwürfe entstehen.

Wie entscheiden Sie, wie Sie die Daten darstellen? Hat das Ausgangsmaterial, also die darzustellenden Daten, einen direkten Einfluss auf die Visualisierung?

Es gibt nicht die richtige oder die falsche Darstellungsform für einen Datensatz. Es gibt zig verschiedene Perspektiven auf den gleichen Datensatz. Deswegen hängt die Entscheidung, welche Darstellungsform wir wählen, von ganz vielen Parametern ab. Was möchte der Kunde erzählen? Wer ist das Zielpublikum? Welchen Aspekt der Daten möchten wir beleuchten? Bei Kundenarbeiten treffen wir die Entscheidung gemeinsam mit dem Auftraggeber. Aber das Ausgangsmaterial hat immer direkten Einfluss auf die Visualisierung, da wir versuchen, die jeweilige Form aus den spezifischen Inhalten heraus zu entwickeln.

Sie hatten im Gewerbemuseum Winterthur letztes Jahr ein Projekt gezeigt, wo Sie Daten aus dem Nationalrat in zwanzig verschiedenen Arten darstellten.

Genau, es ging dabei um das Geschlechterverhältnis im Nationalrat seit 1971. Wir wollten zwanzig Mal einen anderen Blick auf die Daten werfen und immer eine etwas andere Geschichte mit den gleichen Daten erzählen.

Hahn+Zimmermann, Women in Politics, 2021

Ist das eines Ihren gängigen Arbeitsmitteln?

Varianten sind immer Teil von unserem gestalterischen Arbeitsprozess, aber am Ende entscheiden wir uns bei unseren Kundenprojekten meist für eine Darstellungsform. Das gehört zu unserer Arbeit: Immer, wenn man eine Infografik macht, muss man auch eine klare Vorstellung oder eine klare Erwartung von dem haben, was man erzählen möchte. Oder zumindest eine Fragestellung. Wenn ich das nicht habe, kann ich mich auch nicht für die am besten geeignete Darstellungsform entscheiden. Erst dann kann ich überprüfen, ob die Darstellung erzählt, was ich erzählen will oder meine Frage beantwortet.

Um den Bogen zum Ausstellungsthema «Perfectly Imperfect» zu schlagen: Gibt es Datenvisualisierungen, die fehlerhaft sind oder Mängel aufweisen, aber trotzdem funktionieren?

Wir versuchen, möglichst ehrlich und korrekt, nah an den Daten zu bleiben. Unsere Aufgabe ist es, sehr präzise zu kommunizieren. Bei der Datenvisualisierung, also in der Übersetzung von Zahl zu Form, sollten keine Fehler passieren. Ich möchte nicht behaupten, dass unsere Arbeit fehlerfrei ist, aber wir streben eine hohe Präzision an. Ich sehe hier eine grosse Verantwortung bei uns als visuelle Gestalterinnen, Inhalte korrekt zu kommunizieren – der Spielraum für Verzerrung oder Manipulation ist leider sehr gross.

Was sind Fehler, die nicht passieren dürfen?

Dazu gehören zum Beispiel Dinge wie ein fehlender regelmässiger Zeitverlauf oder falsche Flächenproportionen bei einer Umrechnung von einem Wert auf eine Fläche. Diese führen dann zu einer Verzerrung oder einem völlig falschen Bild. In den Medien sieht man häufig Negativbeispiele für solche Fehler.

Das heisst, so etwas wie ein «Perfectly Imperfect»  darf es bei Ihrer Arbeit nicht geben?

Genau. Kreativen Spielraum für «Fehler» gibt es eher in anderen gestalterischen Kontexten. Zum Beispiel bei einer Buchgestaltung oder beim Design eines Magazins. Dort können Dinge durch Zufall passieren, die wir so nicht beabsichtigt haben, die aber spannend sind. Bei der Datenvisualisierung ist dieser Aspekt sehr marginal. Höchstens treffen wir mal per Zufall auf ein Darstellungsmodell, das wir so nicht beabsichtigt hatten. Aber wenn ich das Wort «Fehler» im Bereich der Datenvisualisierung höre, denke ich direkt an Fehler, die es zu vermeiden gilt. Es ist eher umgekehrt: Wenn es um die Visualisierung von komplexen Daten geht, soll unsere Arbeit helfen, spezifische Muster, Ungereimtheiten oder Abweichungen in den Daten sichtbar zu machen.

Biografie
Barbara Hahn (*1981, DE) studierte Visuelle Kommunikation und gründete 2008 Hahn+Zimmermann in Bern. Arbeit für Kunden in den Bereichen Kommunikationsdesign/ Informationsgrafik und selbst initiierte Projekte mit künstlerischem, forschenden Ansatz. Regelmässige Vorträge auf Konferenzen und Lehrtätigkeit an Designschulen und in Unternehmen.
Hahn+Zimmermann

Wie gelingt dies?

Wenn wir einen Datensatz haben, legen wir bestimmte Darstellungsregeln fest. Jeder inhaltliche Parameter wird über eine gewisse Regel in eine Form übersetzt. Wir definieren die Regeln, aber wir haben nicht bis zum letzten Ende Einfluss, wie das Bild am Ende aussieht. Das bestimmen die Daten. Über diese fixen Darstellungsregeln ergibt sich das Bild. Und solche visuellen Codierungen können etwas sichtbar machen. Auch Fehler. Zum Beispiel hatten wir mal in einer Visualisierung einen sehr starken Ausreisser. Wir gingen dem nach und es zeigte sich: Das war ein Fehler in der Datenbank vom Kunden. Dieser wurde erst durch die visuelle Umsetzung sichtbar.

Die Visualisierung von Daten kann Fehler sichtbar machen. Kann sie auch beim Finden von Erkenntnissen helfen?

Es hängt von der Komplexität der Daten ab. Wenn man einen überschaubaren Datensatz hat oder der Kunde schon sehr genau weiss, was er zeigen oder aussagen will, dann weniger. Aber sobald die Daten komplexer werden, ist der Erkenntnisanteil gross. Das Ermöglichen von neuen Erkenntnissen mittels Datenvisualisierung ist etwas, das uns antreibt.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir machten für die Architekturzeitschrift «Hochparterre» eine visuelle Analyse der Liegenschaften der Immobiliengesellschaft Pensimo. Da ging es um den Zustand von rund 500 Bauten. Mit unseren Visualisierungen nahmen wir verschiedene Aspekte in den Fokus: etwa das Baujahr, den Renovierungsbedarf oder den Standort. Unsere Darstellungen zeigen auf einen Blick, wie es um den entsprechenden Aspekt bei allen Immobilien steht. Sogar jemand, der die Daten gut kennt, kann dadurch neue Erkenntnisse gewinnen. Wesentlich dabei ist, wie man die Daten zeigt, ob man sie aggregiert oder ob man jeden einzelnen Datenpunkt – in diesem Fall jede einzelne Liegenschaft – zeigt.

Also wie stark Sie Daten zusammenfassen.

Bei einem Projekt, bei dem es um den Baumbestand der Stadt Bern geht, zeigen wir zum Beispiel in unserer Datenvisualisierung jeden einzelnen Baum. Ich spreche hier gerne vom Begriff der «Transparenz». Wir zeigen jeden einzelnen Baum und sagen nicht einfach zusammenfassend „es gibt 500 Apfelbäume in der Stadt“. So eine Transparenz kann Dinge anders sichtbar machen. Man bekommt dadurch einen anderen Blick auf den Baumbestand als über die Zahlen im Excel. Die Visualisierung kann so als Analyse- und Arbeitsinstrument genutzt werden.

Gibt es bei Ihnen auch Momente, wo die Lust an der Form oder am spielerischen Gestalten die Informationsvermittlung übersteuert?

Wenn der informative Charakter klar im Vordergrund steht, darf es nicht zu spielerisch werden. Bei anderen Projekten arbeiten wir mit Illustrationen und versuchen beispielsweise, infografische Elemente mit Illustrationen zu verknüpfen. Da gibt es dann vielleicht mehr Raum für Spielerisches und ein Schmunzeln. Für das Weingut «Ur Runchétt» im Tessin haben wir beim Erscheinungsbild mit Weinkorken gearbeitet, die jedes Jahr in einer anderen Farbe gestempelt werden. Jeder Jahrgang hat somit eine andere Farbe und die Kunden stempeln die Etiketten selbst. Durch das Handgemachte gibt es hier so etwas wie ein «perfectly imperfect», aber ein Fehler ist das jetzt auch nicht.

Im Museum
«Perfectly Imperfect. Makel, Mankos und Defekte»
23. November 2023 – 12. Mai 2024 Gewerbemuseum Winterthur
Zur Ausstellung