© Saskia Tschech

Den Fehler umarmen

Ein Gespräch mit Peter Bauhuis

von Daniel Fehr
23. November 2023

Herr Bauhuis, Sie haben vor zwei Jahren im Gewerbemuseum Winterthur Objekte aus Ihrer Reihe «Simultanea» ausgestellt. Hier möchte ich anknüpfen, denn diese passen gut zum Thema «Perfectly Imperfect». Was sind das für Objekte?

Das sind Gefässe, die ich im Ausschmelzverfahren giesse. Ich nenne sie «Gefässe», obwohl es Objekte sind. Besonders daran ist, dass ich dazu zwei Metalllegierungen gleichzeitig verwende. Die beiden Legierungen mischen sich in der Form und erstarren.

Wie gut können Sie diesen Prozess beeinflussen?

Ich gebe die Giessform vor. Doch ich kann nur in einem kleinen Mass bestimmen, wie die Farbverläufe beim Objekt ausschauen werden. Es ist ein Dialog vom Material mit mir. Am Anfang habe ich mehr zu sagen, dann hat das Material mehr zu sagen und am Schluss wieder ich. Denn ich bin es, der entscheidet, ob das Objekt überhaupt ausstellungswürdig ist.

Das Material ist also am künstlerischen Prozess aktiv mitbeteiligt.

Genau. Ich habe gerade kürzlich mit einem Materialforscher über die Vorgänge diskutiert, die bei diesem Prozess geschehen. Das ist relativ komplex. Denn wenn die beiden Metalle aufeinandertreffen, bilden sie neue Legierungen, die wiederum neue Eigenschaften haben. Und diese neuen Eigenschaften beeinflussen dann wieder die Fliessfähigkeit und treffen auf anderes Material, das darauf reagiert. Das Ergebnis ist nur schwer vorherbestimmbar.

Haben Sie vor dem Giessen eine Ahnung wie Ihr Werk am Ende aussehen wird?

Ich habe in der Zwischenzeit viel Erfahrung und ich kann den Prozess teilweise auch besser steuern. Ich bestimme schliesslich, wo das eine Metall anfängt und das andere dazustösst. So habe ich meist eine Vermutung, auf welcher Seite welches Material dominiert. Aber wie es sich mischt, ist auch für mich immer wieder neu.

Peter Bauhuis, Serie, 2020

Wovon hängen die Vermischungen ab?

Ich benütze Variationen von Nichteisenmetallen: Kupfer, Zinn, Zink, Silber und deren Legierungen, wie Bronze oder Messing. Durch die unterschiedlichen Variationen sind die Verwirbelungen auch immer wieder stark verschieden. Die unterschiedlichen Metalle oxidieren in unterschiedlichen Farben. Wenn ich Feinsilber, das weiss bleibt, da es quasi keine Oxidation hat, mit Sterlingsilber vergiesse, das Schwarz oxidiert, dann gibt es eine Zeichnung, die von weiss bis schwarz geht und all das, was grau ist, sind Mischungen. Das Farbspiel, das da entsteht, ist immer das Spiel der Oxidationen.

Die Resultate haben etwas Archaisches, Rohes, Unfertiges – wann ist für Sie ein Objekt fertig?

Wenn es aus der Gussform kommt, versuche ich, es möglichst so zu belassen. Es wird nicht geschweisst oder patiniert. Ich säubere lediglich die Oberfläche von der Einbettmasse und wachse es, um das Objekt stabiler zu machen und noch den letzten Gipsschleier zu entfernen. Das ist aber alles. Wenn ich das Objekt polieren würde, wäre der ganze Witz verloren. Dann wäre das Objekt einfach ein glänzendes Metallteil, bei dem man nur ganz schwer die unterschiedlichen Farben erkennen könnte.

Kann es überhaupt «falsch» oder «unperfekt» herauskommen? Gibt es in diesem Prozess Abfall?

Es kann zum Beispiel sein, dass das Metall die Form nicht ganz ausfliesst, dass irgendwelche Parameter nicht eingehalten wurden, dass der Druckaufbau anders war, als ich geplant habe oder die Temperaturen. Und dann kommt es zu dem, was man einen «Fehler» nennen könnte. Diesen kann man manchmal umarmen. Und manchmal muss man ihn als Ausschuss akzeptieren.

Gibt es für Sie also einen Unterschied zwischen Zufall und Fehlern?

Würde ich schon sagen. Das eine ist der zugelassene oder geradezu gewünschte Zufall. Gleichzeitig muss ein Gefäss sitzen. Es stellt sich immer die Frage, wie viel ein Gefäss verträgt, damit es eins bleibt. Wenn die Form nicht mehr sichtbar ist, dann stimmt es für mich nicht mehr. Jemand, der von aussen kommt, mag das Ergebnis zwar interessant finden, aber mich interessiert das nicht. Das Ergebnis muss schon meiner Idee folgen.

Biografie
Peter Bauhuis
Biografie
Peter Bauhuis wurde 1965 in Friedrichshafen am Bodensee geboren. Nach einer Ausbildung zum Goldschmied studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München. Schmuck und Objekte von Peter Bauhuis befinden sich in zahlreichen Museen und öffentlichen Sammlungen. Er lebt und arbeitet in München.
Peter Bauhuis

Auch der Zufall macht Fehler. Ist diese Grenze zwischen Ausschuss und produktivem Fehler für Sie immer eindeutig?

Dazwischen ist es auch spannend. Ich versuche immer, die technischen Möglichkeiten noch ein bisschen weiter zu treiben. Mit all dem, was ich gelernt habe, kann ich wieder ein bisschen mehr wagen. Und da gibt es natürlich Ausfälle.

Wie viele Ausfälle gibt es denn dabei?

Wie viele kann ich nicht genau sagen. Es wird auch nicht wirklich besser, weil ich immer die Grenzen weiter verschiebe. Und es geht auch um Kosten. Als ich in St. Gallen mit einer grossen Giesserei zusammenarbeitete, kostete jeder Guss 2000 bis 3000 Franken. Dann ist es schon schmerzhaft, wenn es nicht gelingt. Doch es geht nicht nur ums ökonomische, sondern man muss auch eine hohe Frustrationstoleranz haben. Und trotzdem: Es kann einiges schief gehen und es kommt trotzdem ein ganz gutes Ergebnis raus.

Das ist genau die Schwelle, um die es bei der Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur geht. Gibt es auch Fehler oder Resultate, die Sie so interessant finden, dass Sie durch sie auf einen neuen Ansatz kommen?

Bei einem Objekt verwendete ich Kupfer und Silber. Dazu muss man wissen, dass Kupfer nicht so richtig gut fliesst. Das Metall nimmt relativ viel Luft auf im Flüssigen und lässt es wieder raus im Moment des Erstarrens. Dadurch entstehen Löcher, die oft eher an Risse erinnern als an Löcher. Das gefällt mir nicht und trotzdem habe ich damit gerechnet.

Peter Bauhuis, Objekte, 2019 / 2018 / 2016

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich schmierte Wachs rein. Genauer: Ich fügte sehr sorgfältig Wachs rein. Danach wiederholte ich den Giessprozess nochmals. Ich fügte also nochmals Metall hinzu. Und was dann passierte, war wirklich magisch. Durch die Länge des Prozesses und die hohen Temperaturen oxidierte das Material noch weiter und es kam zu einer totalen Farbveränderung. So entstanden unglaublich schöne Rottöne.

Der Flick wurde formprägend.

Genau, ich umarmte den Fehler. Der Fehler war in diesem Fall sehr hilfreich, weil ohne ihn wäre ich gar nicht auf diese Rotfärbung gekommen. Diese ist zwar im Metall angelegt, aber ich hätte sie über mein normales Verfahren nicht erzielt. Der Chemiker Max Delbrück hat mal von dem Prinzip der «Limited Sloppiness» gesprochen. Es geht dabei darum, dass wenn man den Prozess so sehr beherrscht, sich eine gewisse Schlampigkeit leisten darf – weil man aus den Fehlern lernen kann, weil man fähig ist zu erschliessen, wie es dazu kam.

Versuchten Sie die Resultate des zweifachen Giessprozesses zu wiederholen?

Ja, das ist etwas, was ich seitdem systematisch einsetze. Wenn sich weiss, dass solche Risse auftreten, plane ich einen bereits von Anfang an einen zweiten Giessdurchgang mit ein

Führen Sie die Reihe mit den simultanen Güssen fort?

Da ist noch nicht alles ausprobiert. Mich interessiert es im Moment verstärkt, grössere Objekte herzustellen. Mit der Grösse verändern sich auch Verhältnisse. Als Goldschmied ist mir der Körperbezug von Objekten wichtig, aber das wird irgendwann ganz anders, wenn man das Ding nicht mehr in die Hand nehmen kann, sondern quasi nur noch mit Kraft bewegen kann. Ich muss erst noch herausfinden, ob es da auch eine maximale Grösse gibt. Dabei wird auch das Material mitreden. Schauen wir mal, was es mir erzählt.

Im Museum
Aktuell sind Werke von Peter Bauhuis in der Ausstellung «Perfectly Imperfect. Makel, Mankos und Defekte» in Winterthur zu sehen.
23. November 2023 - 12. Mai 2024 Gewerbemuseum Winterthur
Zur Ausstellung