Das Beste daraus machen

Ein Gespräch mit Philomena Schwab

von Daniel Fehr
23. November 2023

Frau Schwab, beim Game-Design kann sich der Perfektionsanspruch auf verschiedene Aspekte beziehen: auf ultrarealistische Grafiken, auf flüssiges Gameplay, auf eine immersive Story und vieles mehr. Wann ist für Ihr Stray Fawn Studio ein Spiel «perfekt»?
Wir legen bei unseren Games viel Wert auf Wiederspielbarkeit. Wir bauen Systeme, aus denen die künstliche Intelligenz des Games unterschiedliche Situationen generiert. Diese sollen in grosser Varianz im Spiel auftauchen und für die Spielenden interessant sein. Wenn es uns gelingt, die Spielenden über mehrere Stunden mit immer wieder neuen Herausforderungen zu konfrontieren, dann ist das für uns ein Zeichen von Perfektion.

Wie schaffen Sie das?
Das ist eine Frage von Game-Mechaniken und wie gut diese zusammenspielen. Dazu gehört für uns auch ein immersives Storytelling. Unsere Spiele haben normalerweise keine vordefinierte Story. Sie ergibt sich aus den zufällig generierten Umständen und Charakteren des Spiels sowie den Entscheidungen der Spielenden. Durch das Spielen schaffen sie ihre eigene Geschichte. Diese hängt aber auch stark von der Simulation ab, welche das Game vorgibt.

Die Simulation beziehungsweise die künstliche Intelligenz prägt also das Spiel mit.
Das Spiel, das dies meiner Meinung nach am besten umgesetzt hat, ist «RimWorld». Die Spielenden lenken bei diesem Game die Geschicke einer notgelandeten Raumschiffcrew. Grafisch ist dies ganz einfach gehalten. Die Simulation ist jedoch sehr detailliert. Jede einzelne Figur im Spiel ist genau definiert. Man kann sehen, wie es ihr geht: bis in die Fingerspitzen! Und diese Charaktersimulationen interagieren dann wieder miteinander und prägen das Spiel. Kein Spiel läuft damit genau gleich ab.

Wie bauen Sie ein solches nicht-lineares, offenes Spiel, das die Herausforderungen im Verlauf des Spiels selbst kreiert?
Wir überlegen uns das Grundkonzept und danach geht es ins Testing und ans laufende Anpassen. Bei unserem neusten Spiel «The Wandering Village» haben wir zum Beispiel alle zwei Wochen zweihundert neue Spielerinnen und Spieler unser Spiel testen lassen. Sie füllen Fragebögen aus oder nehmen sich beim Gamen auf. Wir sehen danach, ob interessante Spielsituationen entstanden sind und passen das Spiel dann an. Wir lassen Dinge weg oder fügen neue Dinge hinzu.

Biografie
Philomena Schwab ist eine Game Designerin aus Zürich. Nach ihrem Masterabschluss an der Zürcher Hochschule der Künste gründete sie 2016 das Game Studio «Stray Fawn», gemeinsam mit Micha Stettler. Mit ihrem Studio widmet sich Philomena der Entwicklung eigener Video-Spiele, von der Idee bis zur Vermarktung. 2017 erhielt sie vom Wirtschaftsmagazin Forbes den Titel «30 under 30 in Technology in Europe». Als Vize-Präsidentin des Swiss Game Hubs setzt sich Philomena für die Schweizer Game Industrie ein.
Stray Fawn Studio

Der Weg zum perfekten Spiel, wie Sie es sich wünschen, ist lang. Version folgt auf Version. Gibt es je eine Endversion?
Nein. Eigentlich könnte man an jedem Spiel unendlich lang arbeiten. Doch irgendwann müssen wir trotzdem sagen: Jetzt ist es genug nah an dem, was ich mir vorstellte.

Obwohl sich gerade ihre Spiele immer weiterentwickeln liessen.
Das ist so. Gerade bei Spielen, bei denen es keine abgeschlossene Story gibt und man endlos weiterspielen kann, gibt es auch theoretisch immer die Möglichkeit, noch etwas weiteres dazuzufügen. Ein «World of Warcraft» lässt sich zum Beispiel immer weiterentwickeln.

Sie selbst sagen aber irgendwann: Jetzt ist es perfekt genug.
Das ist auch eine Frage der Motivation. Irgendwann wird es für uns spannender, etwas Neues zu beginnen als sich in den kleinsten Details des alten Games zu verlieren. Zudem ist es eine Frage des Geldes. In der Regel machen wir den grössten Umsatz beim Release, dann wenn das Game neu ist.

Zeichner:innen finden manchmal ihre Skizzen besser als die ausgeführten Arbeiten. Gibt es das im Gamedesign auch, dass Sie frühere Versionen interessanter finden als das fertige Game?
Das kann es geben, dass wir im Prozess eine falsche Entscheidung trafen und später merken, dass eine frühere Version intuitiver und einfacher war.

Was machen Sie dann?
Wenn wir Zeit haben, gehen wir nochmals einen Schritt zurück. Wenn wir keine Zeit haben, machen wir das Beste draus.

Zeit haben hängt auch damit zusammen, wie viel Geld man hat. Grössere Studios können anderes auf die Beine stellen. Wie gehen Sie damit um?
Wir schauen jeweils, was die Triple A-Studios, also die Videospielfirmen mit den höchsten Entwicklung- und Promotionsbudgets machen und versuchen dann eigene Nischen zu finden. Denn es gibt Genres, bei denen die Chancen für uns von Anfang an sehr klein sind, erfolgreich zu sein. Zum Beispiel hätten wir keine Chance bei einem First-Person-Shooter mit hyperrealistischer Grafik mitzuhalten. Bis wir so ein Spiel mit unserem zehnköpfigen Team umgesetzt hätten, ist die Grafik schon wieder veraltet.

The Wandering Village © Stray Fawn Studio
The Wandering Village © Stray Fawn Studio

Wir haben zu Beginn vom Perfektionsanspruch gesprochen. Dieser hängt also auch von der Konkurrenz ab.
Es ist immer so, dass wir uns überlegen müssen, wo wir uns beschränken können. Bei der Grafik? Beim Umfang? Beim Wiederspielbarkeitswert? Bei «Niche», unserem ersten Spiel, haben wir zum Beispiel nichts animiert. Denn Figuren animieren ist teuer. Unsere Spielenden stört dies zum Glück fast nie. Denn der Kern des Spiels ist etwas anderes.

Das Beste aus den Umständen herausholen: Das passt gut zu «Perfectly imperfect».
Das gehört zu jeder Entwicklung. Zu den Umständen zählen auch die eigenen Fähigkeiten. «Minecraft» zum Beispiel hat nicht die Minecraft-typische Grafik, weil der Entwickler fand, das sei die schönste Grafik. Sondern weil er es nicht besser konnte. Und trotzdem wurde das Spiel sehr erfolgreich.

Ihr neustes Spiel heisst «The Wandering Village». Um was geht es da?
Es ist ein Citybuilder, ein Städtebauspiel. Man baut auf dem Rücken von einem grossen, wandernden Tier eine Stadt. Das Game spielt auf einer postapokalyptischen Welt. Die Welt ist vergiftet und die Menschen können darum nicht mehr auf dem Boden leben. Sie besiedeln deshalb ein Riesentier, das eigentlich ein Berg ist, der wegen dem vergifteten Boden aufsteht und durch die Welt zieht auf der Suche nach einem Platz, wo es leben kann.

Das Spiel ist im Moment im «Early Access» zu kaufen. Was bedeutet das?
Die «Early Access»-Version ist schon voll spielbar. Wir arbeiten aber weiter daran. Jetzt ist es ein Jahr auf dem Markt und wir arbeiten sicher nochmals ein Jahr weiter, bis es ganz fertig ist. «Early Access» hat den Vorteil, dass die Gamerinnen und Gamer etwas vergebender sind, wenn es noch wenig Inhalt hat oder noch Bugs auftauchen.

Solche Bugs, Fehler im Spiel, können ein Spiel unspielbar machen. Es gibt aber auch Fehler, die weniger gravierend sind: Glitches, kleine Störungen. Im Spiel «The Elder Scrolls V: Skyrim» fielen eine Zeitlang Mammuts vom Himmel. Wie gehen Sie mit solchen zufälligen Effekten um, die sich in Ihre Videospiele einschleichen?
Wir haben im Moment bei dem Spiel «Wandering Village» einen solchen Fehler. Das grosse Tier legt sich schlafen. Normalerweise an Land. Aber manchmal passiert es, dass es aus dem Wasser steigt und sich schlafen legt. Sein Kopf ist dann unter Wasser. Das findet unsere Community seltsam, aber auch lustig. Einen solchen «Fehler» müssen wir nicht dringend beheben. Im Gegenteil wir sammeln solche Sachen auf Video und posten sie auf Social Media. Das kommt sehr gut an.

Gibt es auch Momente, wie dieses unter Wasser schlafende Tier, mit denen Sie weiterarbeiten?
Früh bei der Entwicklung fällt auch bei uns oft der Satz: «It’s not a bug, it’s a feature.» Das ist kein Fehler, sondern eine Funktion. Wir fanden auch schon ungeplante Dinge lustig und bauten darauf auf. Zum Beispiel, dass die Tiere in «Niche» ihren Kopf immer an der Maus-Position des Spielers ausrichten.

Im Museum
Die Ausstellung «Perfectly Imperfect. Makel, Mankos und Defekte» ist aktuell in Winterthur zu sehen.
23. November 2023 - 12. Mai 2024 Gewerbemuseum Winterthur
Zur Ausstellung