Federball (Ausschnitt) © Anna Sommer

Mit dem Cutter zeichnen

Ein Gespräch mit Anna Sommer

von Daniel Fehr
24. Juni 2022

Du bist bekannt für dein Papierschnitttechnik. Wie hast du zu dieser Technik gefunden?

Ich komme über meinen erlernten Beruf als Grafikerin zu den Papierschnitten. Ich habe 1992 meine Lehre abgeschlossen, zu einer Zeit, in der man gerade begann auf Computer umzustellen. Während meiner vierjährigen Lehre habe ich nie mit dem Computer gestaltet. Das Skalpell war zu dieser Zeit das wichtigste Instrument, um Druckvorlagen oder Maquetten herzustellen. Meine heutigen Instrumente gehen auf meine Lehrzeit zurück: das Messer, der Sprayleim und die farbigen Papiere.

Und wann hattest du mit den Papierschnitten begonnen?

Ich arbeitete danach als Grafikerin in einem kleinen Atelier, in dem es zu Beginn noch keine Computer gab. Zu dieser Zeit habe ich meine allerersten Papierschnitte gemacht: in der Mittagspause oder wenn ich nicht viel zu tun hatte. Diese waren zwar bereits figürlich, aber viel gröber und comichafter als meine heutigen Arbeiten und in Schwarz-Weiss.

Deine Technik entstand in den Pausen. Was hast du mit den Bildern gemacht?

Postkarten. Mit den Papierschnitten hatte ich das Gefühl, dass ich eine Richtung gefunden habe, worauf sich aufbauen lässt. Ich wollte mehr Dinge machen, die mir gefallen und nicht einfach so arbeiten, wie es die Kunden wünschen. Nach vier Jahren in der Agentur kündigte ich darum meinen Job und machte mich als Illustratorin selbstständig.

Wie gehst du heute vor, wenn du ein Papierschnittbild entwickelst?

Wenn ich einen Auftrag habe, muss ich teilweise Skizzen im Voraus zeigen. Hier geht es aber nur um die Idee, denn im Papierschnitt sieht es nochmals anders aus. Teilweise zeige ich auch mehr als eine Idee. Es gibt aber auch Aufträge, bei denen ich frei bin und keine Skizzen zeigen muss. Da mache ich höchstens für mich ein paar sehr grobe Skizzen. Das meiste passiert während dem Arbeiten am Schneidetisch.

Autoportrait, cinq ans © Anna Sommer

Das heisst, du machst keine Reinzeichnungen oder Kompositionsentwürfe?

Nein, ich schneide direkt mit dem Cutter meine Formen aus dem Papier aus. Ausser wenn ich ein Teil schon fünf Mal ausgeschnitten habe und immer noch nicht zufrieden bin. Dann mache ich Skizzen oder Fotos, um mich daran zu orientieren. Doch ich versuche zu vermeiden, dass ich an einer vorgezeichneten Linie entlangschneiden muss. Das ist nie der gleiche Genuss. Ich will mein Messer als Zeichnungsinstrument brauchen.

Arbeitest du mit speziellen Schneidewerkzeugen?

Ich zeichne mit einem klassischen, einfachen Cutter. Hin und wieder probiere ich ein professionelleres Messer aus, aber ich komme immer wieder auf diesen Cutter zurück. Ich schneide mit einer weit ausgefahrenen Klinge, damit sie schön elastisch ist.

Im Gegensatz zu deinem Cutter, sehen deine Papiere richtig edel aus.

Ich arbeite heute fast nur noch mit japanischen Papieren. Früher verwendete ich dickere Papiere, oft auch einfache Kopierpapiere in verschiedenen Farben. Das japanische Papier ist dünner und weicher und eignet sich perfekt zum Schneiden.

Du hast einen Tisch, auf dem du kleine Papierstapel hast.

Dies ist meine Farbpalette. Hier sind meine Rottöne, meine Blautöne, meine Hauttöne… Meine Farbpalette ist relativ klein. Dadurch bekommen meine Bilder etwas Einheitliches. Früher war meine Palette breiter, ich arbeitete teils auch mit gemusterten Papieren oder mit knalligen Farben. Im Moment gefällt mir das Ruhige.

Zurück zum Entstehungsprozess eines Bildes. Wie beginnst du?

Ich beginne immer mit der Figur. Ich schneide den Körper aus mehreren Teilen, die ich auf dem Papier zusammensetze. Dadurch habe ich einen grossen Spielraum, was die Körperhaltung anbelangt. Es ist verblüffend, wie stark sich der Ausdruck durch kleine Verschiebungen der Einzelteile verändert.

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Ein Bild entsteht! So arbeitet Anna Sommer.
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Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
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Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
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Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
Prozess, Schnittteile © Anna Sommer
Prozess, Schnittteile © Anna Sommer

Du arbeitest oft mit Requisiten: Du legst der Figur etwas in die Hand oder stellst neben sie ein Tier oder einen Gegenstand. Weisst du von Beginn an, wie das fertige Bild aussehen wird?

Vieles ist nicht von Anfang an in meinem Kopf. Der Ausdruck der Figur entscheidet mit, was die Figur macht. Das ergibt immer wieder eine andere Geschichte. Zum Beispiel machte ich einer Figur wehende Haare und diese führten mich über die Assoziation zu Wind zum Papierdrachen in der Hand der Figur.

Deine Endprodukte sind in der Regel nicht die von Hand gefertigten Originale, sondern deine Illustrationen erscheinen gedruckt.

Ich versuche, dass man im Druck noch immer sieht, dass es eine Papierschnitttechnik ist. Dass man das Papier wahrnimmt, dass man die Schatten der Papierlagen sieht. Trotzdem sind Leute manchmal erstaunt, wenn sie merken, dass ich nicht digital arbeite.

Du arbeitest auch viel grösser als ich es mir vorgestellt habe. Vor uns liegt ein Original in der Grösse eines DIN A2.

Ich kann nicht mehr so klein arbeiten wie früher. Da arbeitete ich teils in der Grösse eines Comicpanels. Heute ginge das nur schon wegen meiner Augen nicht mehr. Zudem arbeite ich heute anders. Ich habe den Anspruch, dass meine Figuren einen bestimmten Charakter zeigen und dafür brauche ich die Grösse. So kann ich besser am Gesichtsausdruck arbeiten.

Drachen © Anna Sommer

Wer sind deine Kund:innen?

Zu Beginn waren es Zeitungen und Magazine. Das mache ich heute aber fast nicht mehr. Mein grösster regelmässiger Auftraggeber ist die Rigi Apotheke, für die ich zweimal im Jahr vier grosse Schaufenster gestalte. Das mache ich seit zehn Jahren. Ich illustriere aber auch viele einmalige Aufträge.

Daneben machst du auch eigene Projekte, vor allem Comics. Hier verwendest du eine andere Technik.

Ich habe bisher drei Comicbücher gemacht: «Damen Dramen» 1996, «Die Wahrheit und andere Erfindungen» 2007 und «L’inconnu» 2017 – also ungefähr alle zehn Jahren einen Comic. Das Zeichnen mit Tusche und Feder finde ich für die Comics geeigneter. Ich bin viel schneller mit dieser Technik, was ich brauche, um im Erzählfluss zu bleiben.

Deine ersten Geschichten waren, wie deine Papierschnitte heute, wortlos.

Ich wusste gar nicht, wie mit Sprechblasen umgehen. Das hatte auch Auswirkungen auf die Geschichten, die ich erzähle. Die Figuren kommunizieren körperlicher. Sie beginnen schneller zu streiten. Sie gehen schneller miteinander ins Bett, weil sie vorher nicht noch lange miteinander reden können. Die Wortlosigkeit hat mein Universum bestimmt und gleichzeitig hat mich dieses Universum sowieso interessiert.

Das Körperliche scheint sich durch dein ganzes Werk durchzuziehen.

Ich arbeite einfach gerne mit Figuren. Die Umgebung, Räume und Architektur sind zweitranging. Bei meinen Comics stehen meist Beziehungsgeschichten im Zentrum, die mit nur wenigen Figuren auskommen. Beim Papierschnitt steht der Ausdruck der Figur im Zentrum, welcher die darin verwobene Geschichte beeinflusst.