2020 © Anete Melece

Hauptsache Farbe

Ein Gespräch mit Anete Melece

von Daniel Fehr
1. Juni 2022

Wenn man deine Website besucht, landet man zuerst auf einem «und». Es steht genau in der Mitte zwischen «Zeichnen» und «Animation». Wenn du dich selbst vorstellst, als was bezeichnest du dich?

Ich mache beides: Illustration und Animation. Vor allem bin ich aber «Visual Storyteller». Ich erzähle Geschichten und dabei ist die Form zweitrangig. Ob das Bild bewegt ist oder nicht, immer geht es mir um das Erzählen. Ich kann auch nicht sagen, was ich lieber mache. Wenn ich längere Zeit nichts mehr animiert habe, fehlt es mir. Und umgekehrt: Wenn ich lange an einem Animationsfilm arbeitete, bin ich froh, wieder illustrieren zu können.

In der Schweiz bist du für dein Bilderbuch «Der Kiosk» bekannt, das letztes Jahr auf Deutsch erschienen ist. Um was geht es im Buch?

Um eine Frau, die in einem Kiosk arbeitet. Der Kiosk ist auch ihr Zuhause. Sie steckt darin fest, findet das aber gar nicht schlecht. Für mich ist Olga, so heisst die Frau, eine unglückliche Optimistin. Olga würde zwar gerne reisen, aber es geht auch so. Die Welt kommt zu ihr: durch Zeitungen und Magazine, die sie in ihrem Kiosk verkauft. Am Tag ist sie glücklich. Sie hat ihre Aufgabe als Verkäuferin. Nur in der Nacht ist sie traurig. Eines Tages passiert etwas Schlimmes. Doch wie jede Krise, ist auch diese eine Chance und der Anfang ihrer Reise.

Die Geschichte hast du ein paar Jahre zuvor schon einmal erzählt. 2013 erschien «Der Kiosk» als Animationsfilm. Oft ist es umgekehrt: ein Buch wird zum Film. Wie kam es dazu, den Kurzfilm auch als Bilderbuch umzusetzen?

Zwei Verleger:innen haben mich bedrängt mit der Bitte, den Film als Bilderbuch zu machen. Aber ich hatte immer andere Projekte: ein anderes Buch oder ein Baby. Doch auch ich fand die Idee gut und nach ein paar Jahren nahm ich das Projekt endlich in Angriff.

Hallo, Walfisch © Anete Melece

Es war auch ein Wiedererzählen einer Geschichte, die du bereits erzählt hast. Wie bist du damit umgegangen?

Ich musste die Animation vergessen. Ich fragte mich: Wie würde ich diese Geschichte als Buch erzählen? Denn bestimmte Dinge kann man nur mit Zeit und Sound erzählen. So fehlt zum Beispiel im Bilderbuch Olgas Stimme. Dafür gibt es im Buch Text und mehr Details. Im Film hätte man so viele Details sowieso nicht wahrgenommen.

Hast du alles nochmals neu gezeichnet?

Als fauler Mensch dachte ich zuerst, ich nehme einfach die Zeichnungen vom Animationsfilm und bastle draus das Buch. Ich habe aber sehr schnell bemerkt, dass das nicht funktioniert. Denn für den Trickfilm zeichnest du jedes Objekt sozusagen nur einmal. Diese «Cut Outs» animierst du dann. Im Buch sähe es langweilig aus, wenn der Kiosk immer in der gleichen Perspektive zu sehen ist. Das geht im Film, im Buch wollte ich aber mehr variieren. Darum zeichnete ich letztlich alles neu.

Beim Animationsfilm gibt es zwei Arbeitsbereiche. Die Zeichnungen und die Animation, also die Bewegung der Zeichnungen. Hast du auch die Animationen gemacht?

Nein, für den «Kiosk» hat diese Stefan Holaus umgesetzt. Ich selbst kenne zwar die Grundlagen des Animierens, aber ich bin keine ausgebildete Animatorin. Während dem Studium habe ich eine Szene selbst animiert, das fiel aber sofort auf. Beim «Kiosk» habe ich darum nur Autos im Hintergrund selbst animiert.

Illustration Papperlapapp © Anete Melece
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Ein Bild entsteht! So arbeitet Anete Melece
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Skizze Papperlapapp © Anete Melece
Skizze Papperlapapp © Anete Melece
Zeichnung Papperlapapp © Anete Melece
Zeichnung Papperlapapp © Anete Melece
Illustration Papperlapapp © Anete Melece
Illustration Papperlapapp © Anete Melece

Änderte sich für dich mit dem Medienwechsel auch die Zielgruppe?

Beim Film hatte ich keine Zielgruppe im Kopf. Ich wollte einfach einen Film machen. Er lief sowohl auf Festivals für Erwachsene als auch auf Kinderfilmfestivals. Beim Buch war es klar: das ist ein Buch für Kinder. Der Raucher, der am Beginn des Films eine prominente Rolle spielt, ist zwar da, aber versteckt. Im Film gibt es zudem einen Kunden, der ein Pornomagazin kauft. Er ist auch im Buch, aber nur am Rand und sein Arm ist über dem Magazin.

Du hast schon einige Bilderbücher gemacht. Mit Ausnahme des «Kiosks» hast du die Geschichten nicht selbst geschrieben. Wie unterscheidet sich deine Arbeit, wenn du fremde Geschichten illustrierst?

Es ist leichter. Ein grosser Teil ist schon gemacht. Die Geschichte ist geschrieben und ich kann mich ganz auf den Text konzentrieren und mich inspirieren lassen. Das Illustrieren ist nur die Hälfte der Arbeit. Ich kenne das von meinen eigenen Entwicklungen. Bis eine Geschichte stimmt, braucht es lange. Das Illustrieren ist für mich mehr ein Machen, bei dem ich zwar überlegen muss – aber es fällt mir leichter.

Du arbeitest im Moment an einem eigenen Bilderbuch. Erzählst du im Vergleich zum Animationsfilm anders?

Beim Bilderbuch habe ich einen klaren Rahmen. Die feste Seitenzahl schränkt ein, dadurch wird es für mich einfacher. Beim Film ist es offener. Zudem muss ich weniger auserzählen. Zwischen den Seiten beim Umblättern müssen die Betrachter:innen selbst denken. Wenn du einen Film machst, übernimmst du diese Arbeit für die Zuschauenden. Doch ich frage mich bei der Arbeit immer wieder: Könnte es auch ein Film sein? Seit dem «Kiosk» denke ich parallel.

Gibt es Themen, die dich besonders umtreiben?

Es geht um Freiheit: darum, sich selbst zu akzeptieren und eine innere Freiheit zu finden. Bei Olga im Kiosk ist es nicht nur eine innere Freiheit, sondern auch die Freiheit, sich zu bewegen und den Ort zu finden, an dem man sein will. Es ist gewissermassen auch meine eigene Geschichte. Nach dem Film habe ich meinen Job gekündigt und mich selbstständig gemacht.  Frei zu sein, ist aber nicht einfach leichter. Wenn du frei bist und machen kannst, was du willst, bist du auch für deine Entscheidungen verantwortlich. Frei zu sein, bedeutet die Verantwortung zu übernehmen. Um die Überforderung damit geht es in meinem Animationsfilm «Analysis Paralysis». Der Protagonist denkt zu viel und kann überhaupt keine Entscheidungen treffen.

Hallo, Walfisch © Anete Melece

In «Analysis Paralysis» verwendest du, obwohl der Film eine eher traurige Grundstimmung hat, eine leichte, fast kindliche Technik. Du zeichnest mit Filzstiften. Wie kamst du dazu?

Ich begann damit, weil ich schneller arbeiten wollte. Bei Filzstiften muss ich nicht warten, bis die Farbe trocken ist, um am Bild weiterarbeiten zu können. Beim «Kiosk» arbeitete ich noch mit Acrylfarben. Zudem kaufte ich viele Filzstifte und wenn man so viele schöne Stifte hat, muss man sie auch benutzen. Erst später dachte ich, dass das viele Plastik der Stifte schädlich für die Umwelt ist. Darum wechselte ich zu Farbstiften. Doch beim Farbstiftzeichnen tut mir die Hand weh. Nun bin ich wieder zurück bei den Filzstiften.

Das heisst, du wählst deine Technik nicht, weil du denkst, dass sie besonders gut zu einer Geschichte passt, sondern wegen äusserer Umstände: weil es schneller geht, um Plastik zu vermeiden, weil die Hand weh tut?

Ich mag einfach Farben. Da ist die Technik zweitrangig. Hauptsache es hat Farbe.

Und wie gehst du vor, wenn du ein Bild entwirfst?

Am Beginn steht die Skizze. Ich mache diese oft im Skizzenbuch. Sie entsteht oft im Zusammenhang mit dem Text und ist auch nicht unbedingt verständlich für andere. Danach kommt die konkretere Zeichnung. Immer noch in Schwarz-Weiss. In dieser Stufe plane ich die Doppelseite. Zuletzt mache ich die finale, farbige Umsetzung. Ich pause an einem Leuchtpult die Zeichnung durch und versuche dabei die Lockerheit zu erhalten.

Wie viel Mal machst du ein Bild?

Nur einmal. Ich plane lieber im Voraus im Kopf. Wenn ich länger überlege und die Szene plane, muss ich weniger zeichnen.