Du bist bekannt wegen deiner Comic-Trilogie «Metamorphosis», «Alberto» und «Geteilter Traum». Für das letzte Buch wurdest du mit dem renommierten Max-und-Moritz-Preis für die beste deutschsprachige Comicpublikation ausgezeichnet. Wie entstehen deine Bücher?
Bei mir gibt es immer zuerst die Geschichte oder die Idee zu einer Geschichte, ein Thema. Beim neuen Buch, an dem ich gerade arbeite, ist es der Sinn des Lebens; bei meinem Comic «Alberto» ging es um Werte. Es gibt also lange kein Bild. Ich sammle erst nur Dinge zum Thema, die mir auffallen. Dinge, die ich in der Zeitung lese oder die ich sehe, wenn ich unterwegs bin.
Wie sieht diese Sammlung aus?
Bei meinem Comic «Alberto» führte ich diese Sammlung in meinem Tagebuch. Bei meinem momentanen Buchprojekt habe ich ein eigenes Notizbuch dazu.
Wie wird aus dem gesammelten Material eine Geschichte?
Ich frage mich: Was soll diese Geschichte? Was will ich erzählen? Auf was will ich aufmerksam machen? Ich gehe ähnlich wie ein Architekt vor. Ich schaue mir die grossen Beziehungen in meinem Material an und komme so auf eine Struktur für die Geschichte. Wenn ich die Struktur habe, mache ich mit Bleistift eine Art Storyboard. Bei mir sind das winzige Heftchen, in denen ich den Rhythmus des Buches skizziere. Wie schnell erzähle ich etwas? Was passiert auf einer Seite? Wie lange wird die ganze Geschichte?
Machst du pro Buch verschiedene Varianten von diesen Storyboards?
Nein, ich ändere wenig. Vielleicht mal eine Seite, weil ein Übergang nicht stimmt. Aber im Wesentlichen bleibt es beim ersten Entwurf.
Wie geht es weiter?
Danach skizziere ich mit Bleistift jede Seite in Originalgrösse auf einem billigen A3-Papier. Bei diesem Schritt definiere ich alle Räume auf der Seite. Zu diesem Zeitpunkt recherchiere ich auch viel, da ich oft von bestehenden Orten ausgehe. Am Ende ist in diesen Skizzen alles vorgespurt, sodass ich, wenn ich das Original zeichne, nicht nochmals grundsätzlich überlegen muss, was man wie sieht. Ich kann die Proportionen von der Skizze übernehmen.
Gibt es hier auch nur einen Entwurf?
Ja. Manchmal muss ich ein Bild nochmals neu zeichnen. Aber meistens komme ich mit einem Blatt pro Buchseite aus. Ein neues Blatt kommt erst für die Reinzeichnung hinzu. Dieses ist in der gleichen Grösse, also ebenfalls A3. Das ist wichtig, denn wenn die Grösse anders wäre, würde ich anders zeichnen. Der Detailgrad wäre anders. Auch die Proportionen sähen anders aus. Für die Reinzeichnung skizziere ich mit Bleistift vor und verwende dann unterschiedlich dicke Rapidographen. Das sind Tuschestifte, die auch bei technischen Zeichnungen zum Einsatz kommen. Während meiner Hochbauzeichnerlehre zeichnete ich Pläne damit.
Wie kommt die Farbe rein?
Ich koloriere direkt auf die Reinzeichnungen. Das ist mir auch wichtig, um am Ende ein Original zu haben. Ich lege erst ein Farbkonzept an und führe dann alles in einem Durchgang aus. Bei meinem neuen Buch gibt es etwa für jedes Kapitel ein eigens Farbkonzept, eine eigene Farbstimmung.
Wie lange dauert der ganze Prozess?
Der Rechercheprozess, auch die Abklärungen vor Ort, dauern unterschiedlich lang. Für die Umsetzung der Originalseite kann ich die Zeit ungefähr einschätzen. Wenn ich dran bin, nutze ich jeweils den Morgen für das Zeichnen. Für die fertige Seite arbeite ich etwa eine Woche im halben Pensum. Für die Reinzeichnung in Tusche brauche ich etwas länger als für die Vorzeichnung und die Kolorierung. Für ein ganzes Buch von über sechzig Seiten brauchte ich so jeweils etwa zweieinhalb Jahre.
Deine Geschichten funktionieren ohne Worte.
Ich finde es schade, wenn Text die Zeichnungen verdeckt. Zudem finde ich es schade, wenn der Text das Lesen von Comics bestimmt. Man liest den Text und nimmt die Zeichnungen nur nebenbei mit. Ich will aber, dass man meine Bilder liest. Die Bilder sollen erzählen. Ich möchte, dass sich jeder Leser und jede Leserin anhand der Bilder die Geschichte selbst erzählt.
Du nutzt Zeichenutensilien, die du aus deiner Lehre als Hochbauzeichner kennst. Welchen Einfluss auf deinen Stil hat dein beruflicher Hintergrund?
Mein Stil fand ich in der Zeit, als ich meine Lehre als Hochbauzeichner gemacht habe und ich sehe im Rückblick, dass er sehr von dieser Arbeit beeinflusst ist. Meine Linien haben keine Dynamik, sondern sie sind wie gesetzt. Sie haben durchgehend die gleiche Dicke und bekommen dadurch auch eine Ruhe. Wie bei Architekturplänen.
Hast du noch andere Stile?
Bei meinen Büchern arbeite ich immer mit diesem aufwendigen Stil. Ich habe aber auch einfachere Stile. Zum Beispiel zeichne ich meine Karikaturen für die Dorfzeitung «De Wisidanger» mit einer Tuschfeder, was mir einen viel dynamischeren Strich erlaubt.
Du machst bei den 24-Stunden-Comics mit, die seit 2008 in der Alten Kaserne in Winterthur stattfinden oder bei Live-Zeichnen-Events. Zudem hast du während der Corona-Zeit ein locker gezeichnetes Tagebuch geführt. In welchem Verhältnis stehen diese schnellen Arbeiten zu deinen Büchern?
Früher habe ich den Büchern mehr Gewicht zugeordnet, weil das Zeichnen länger dauerte. Heute finde ich auch das andere wichtig. Etwa die Corona-Tagebücher, denn da kommt eine Lockerheit und Unbeschwertheit rüber, die ich in meinen Monografien nicht habe.
Du arbeitest auch als Architekt. Wolltest du nie ganz auf den Comic setzen?
Ich bin zwiespältig, ob ich das will. Mir gefällt, dass ich bei meiner Arbeit für das Architekturbüro mit einer anderen Realität konfrontiert bin. Auf der Baustelle ist das Comiczeichnen weit weg. Das tut mir gut.
Machst du auch Auftragsarbeiten?
Das suche ich nicht. Ich will Zeit haben für meine eigenen Geschichten. Ich mache nur hie und da kleine Arbeiten für Leute, die ich persönlich kenne.
Lebst du auch finanziell vom Zeichnen?
Ich muss es nicht und könnte es auch nicht. Ich habe das Glück, dass mich der Architekt, bei dem ich schon sehr lange arbeite, unterstützt. Ich kann einen halben Tag meiner Arbeitszeit für das Zeichnen meiner Comics einsetzen. Dafür gebe ich dem Büro auch viel zurück und arbeite mehr als hundert Prozent, wenn es nötig ist.
In Winterthur bist du auch über deine Vermittlungsarbeit bekannt. Du bist der Präsident des Vereins «Comic Panel Winterthur», der sich für das Comicschaffen einsetzt.
Für mich war es ein Wunsch, dass ich etwas weitergeben kann. Mit dem «Comic Labor» machen wir zum Beispiel einen Stammtisch, bei dem alle kommen und mitzeichnen dürfen: vom Laien bis zum Profi. Als ich jung war, hätte ich mir so etwas auch gewünscht.
Woran bist du im Moment?
Ich arbeite an einem längeren Buch über den Sinn des Lebens. Es wird etwa so umfangreich wie meine drei ersten Monografien. Es ist vielleicht auch mein Sinn des Lebens, dass ich das Buch mache.